News vom Sportsymposium
15.12.2021
Gemeinsam für die psychische Gesundheit im Leistungssport
Rund 100 Gäste bestehend aus medizinischen Fachpersonen, Verbandsfunktionären und aktiven sowie ehemaligen Spitzensportler*innen diskutierten am Sportsymposium im Wankdorf Stadion in Bern miteinander, wie psychische Erkrankungen im Schweizer Leistungssport entstigmatisiert werden können. Gemeinsam wollen sie sich für eine verbesserte Zusammenarbeit für die psychische Gesundheit von Sportler*innen einsetzen. Organisiert wurde die Veranstaltung von Pro Mente Sana und dem BSC Young Boys in Zusammenarbeit mit der Privatklinik Wyss, unterstützt von der Schweizerischen Gesellschaft für Sportpsychiatrie und Psychotherapie SGSPP.
Spitzensportler*innen sind hohen körperlichen wie mentalen Belastungen ausgesetzt. Sie sollen Medaillen gewinnen und werden von ihren Fans idealisiert. Der Druck treibt manche Sportler*innen zu Höchstleistungen an – andere zerbrechen daran. Immer mehr Vereine und Verbände ermutigen ihre Aktiven offen über psychische Belastungen zu reden und sich Hilfe zu holen. Ein offener Umgang mit dem Thema und ein Vertrauen förderndes Klima sind erste Schritte in die richtige Richtung, doch damit ist es noch nicht getan. Es braucht qualifizierte Ansprechpersonen, welche psychische Belastungen möglichst früh erkennen und Unterstützung bieten – und zwar während sowie unmittelbar nach der Sportkarriere. Beatrice Scalvedi, ehemalige schweizerische Skirennfahrerin, kämpfte nach ihrem frühen Rücktritt vom Spitzensport mit Depressionen. Ihr fehlte ein einfacher Zugang zu Fachstellen: «Ich fühlte mich mit meinen Sorgen allein und nicht ernst genommen. Ich hatte mir bessere zwischenmenschliche Unterstützung erhofft.»
Roger Schnegg, Direktor Swiss Olympic, ist überzeugt, dass die jüngsten Vorfälle im Nationalen Sportzentrum Magglingen, die in der Öffentlichkeit bekannt wurden, die Sportszene aufrüttelten. In den letzten Jahren sei vieles gegangen. So wurden beispielsweise neue Anlaufstellen geschaffen und mit «Swiss Sport Integrity» eine erste nationale Melde- und Untersuchungsstelle für Ethikverstösse im Schweizer Sport eingerichtet.
Stigma psychische Erkrankung im Leistungssport
Am Talk wurde besprochen, ob und wann sich aktive Spitzensportler*innen mit psychischen Erkrankungen outen sollen. Ein Outing kostet den Betroffenen, die ihre eigene Scham und teils auch Schuldgefühle überwinden müssen, viel Kraft und Mut. Da jeder Fall individuell ist, gibt es keine eindeutige Empfehlung. Doch in einem Punkt sind sich die Expert*innen einig: Athlet*innen mit einer psychischen Erkrankung sollten sich primär auf ihre Genesung fokussieren, bevor sie den Gang an die Öffentlichkeit wagen. Dieser sollte gut überlegt und zusammen mit einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachperson vorbereitet werden, da die betroffenen Sportler*innen vulnerabel und exponiert sind.
Die Expert*innen betonten die Wichtigkeit, auch die Schweizer Bevölkerung zu sensibilisieren. Fans, welche die Spitzensportler*innen oft als Stars oder gar Superheld*innen sehen, sollten verstehen, dass auch ihre Vorbilder psychisch erkranken können.
Jedes Engagement zählt
Sportvereine und Verbände verfügen dank ihrer Bekanntheit über grosse mediale Aufmerksamkeit und erreichen dadurch viele Menschen. Wie sie sich für die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen in der Öffentlichkeit einsetzen können, zeigt der BSC Young Boys. Seit 2019 gibt es mit der Stiftung Pro Mente Sana eine Corporate Social Responsibility-Partnerschaft. Da gibt es beispielsweise diverse Aktionen im Rahmen der Gesundheitsförderungskampagne «Wie geht’s dir?». Aktuell bildet der Berner Fussballclub zudem Mitarbeitende zu ensa Ersthelfenden für psychische Gesundheit aus und im Januar startet ein Kurs speziell für Jugendtrainer*innen. «Jede Person, die einen Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit absolviert, trägt das wichtige Thema in ihre Familie und ihr Umfeld weiter. Damit können wir alle dazu beitragen, dass das Thema weiter enttabuisiert wird», ist Wanja Greuel, CEO des BSC Young Boys, überzeugt.
Claudius Schäfer, CEO Swiss Football League, schätzt die Sensibilisierungsaufgaben der Liga als wichtig, aber die Möglichkeiten als beschränkt ein und weist auf die Unterschiede bezüglich Organisation und Ressourcen der Profi-Fussballclubs in der Schweiz hin. Eine wichtige Rolle sieht er in der Spielergewerkschaft, welche ebenfalls Unterstützungsangebote für die psychische Gesundheit von Sportler*innen anbietet. «Aber wir als Liga, da muss ich offen sein, haben bis anhin wahrscheinlich zu wenig dafür gemacht», ergänzt Claudius Schäfer selbstkritisch.
Edgar Salis, Sportchef der GCK/ZSC Lions Nachwuchs AG, sieht in der Betreuung der Jugendlichen und Trainer*innen Verbesserungsbedarf: «Es wäre hilfreich, wenn wir unseren rund 90 Trainer*innen und 900 Kindern eine sportpsychologische Fachperson anbieten könnten, so wie auch jeder Kindergarten und jede Schule der Stadt Zürich einen Schulsozialarbeiter oder einen Schulpsychologen hat.»
Vision Mental Health im Sport
- «Das Sportsymposium war ein erster wichtiger Schritt, dem weitere folgen müssen. Darin waren wir uns alle einig. Nun werden wir weitere Gespräche mit Clubs und Verbänden führen und ihre Bedürfnisse sammeln.» Marcel Wisler, Co-Leiter Gesundheitsförderung & Kommunikation Stiftung Pro Mente Sana
Mit dem Sportsymposiums wurde die Diskussion zum Thema psychische Gesundheit im Sport lanciert. Der Austausch und die ermutigenden Reaktionen während und im Anschluss der Veranstaltung zeigten, dass die Schweizer Sportakteure bereit sind, das Thema gemeinsam voranzutreiben. Es besteht eine Fülle von Anliegen und Fragen rund um die psychische Gesundheit der Sportler*innen, die es zu triagieren gilt. Bestehende Angebote und Aktionen sollten bekannt gemacht werden und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren im Bereich Sport und psychische Gesundheit gefördert werden. Wichtig ist auch der Austausch zwischen Peers, also ehemaligen Sportler*innen mit Erfahrung einer psychischen Beeinträchtigung. Als erste konkrete Massnahme wird die Idee einer nationalen Koordinations- und Beratungsstelle weiterverfolgt und ausgearbeitet. Die Pro Mente Sana hat sich bereit erklärt, diese Abklärungen zu übernehmen.
- Dr. med. Malte Christian Claussen; Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie, Leitender Arzt Sportpsychiatrie und -psychotherapie Privatklinik Wyss AG, Präsident Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie
- Maryse Dewey; Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Fachpsychologin für Sportpsychologie FSP, Team Sportpsychiatrie und -psychotherapie Privatklinik Wyss AG
- Dr. med. Nina Feddermann; Fachärztin für Neurologie FMH, Leiterin Swiss Concussion Center, Schulthess Stiftung, Klinik für Neurologie, Universität und Universitätsspital Zürich
- Wanja Greuel; CEO BSC Young Boys
- Dr. med. Thomas Ihde-Scholl; Stiftungsratspräsident Pro Mente Sana, Chefarzt Psychiatrische Dienste der Spitäler fmi ag
- Dr. med. Christian Imboden; Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Ärztlicher Direktor und Vorsitzender der Klinikleitung Privatklinik Wyss AG
- Nicole Peterer; Mentalcoach BSC Young Boys
- Edgar Salis; Sportchef der GCK/ZSC Lions Nachwuchs AG
- Beatrice Scalvedi; Ehemalige Schweizer Skirennfahrerin auf Stufe Europacup/Weltcup, Psychologie Studentin, Sportpsychologie-Assistentin
- Claudius Schäfer; CEO Swiss Football League
- Roger Schnegg; Direktor Swiss Olympic
- Christoph Spycher; Sportchef BSC Young Boys
- Roger Staub; Geschäftsleiter Stiftung Pro Mente Sana
- Denis Vaucher; CEO National League
- Marcel Wisler; Co-Leiter Gesundheitsförderung & Kommunikation Stiftung Pro Mente Sana
- Janine Geigele; Geigele Communications for PluSport (Moderation)